Moritz Kramer
Bei all den Disruptionen des digitalen Zeitalters stellen sie die ethischen und gesellschaftspolitischen Fragen dazu und wachen über den Schutz der digitalen Bürger*innen: So präsentierten sich die 16.000 Hacker*innen auf der 35. Ausgabe des Chaos Communication Congress, kurz 35C3, vom 27. bis 30. Dezember 2018 in Leipzig. Drei Mitarbeiter von CANCOM waren vor Ort und erklären, was Unternehmen von einem Hacker*innenkongress mitnehmen können.
4. Januar 2019
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Lesedauer: ca. 3 Min.
Bild: © Daniel Friedlmaier
Wer auf einer Zusammenkunft von Hacker*innen nur Fachsimpelei erwartet, der irrt. Denn neben komplexen technischen Vorträgen führen sogenannte „Foundation Talks“ leicht verständlich an IT-Themen ran, mit Titeln wie „Datenschutz für Neulandbürger“ oder „Wie funktioniert das Internet?“. Thematische Exkurse gehen weit über den Tellerrand hinaus. Beim 35C3 ging es unter anderem auch um Astronomie, Erbgut-Manipulation und den Aufbau der EU-Institutionen.
Ausrichtender Verein des Kongresses ist der Chaos Computer Club (CCC). Er definiert sich laut Satzung als „galaktische Gemeinschaft von Lebewesen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Abstammung sowie gesellschaftlicher Stellung, die sich grenzüberschreitend für Informationsfreiheit einsetzt und mit den Auswirkungen von Technologien auf die Gesellschaft sowie das einzelne Lebewesen beschäftigt und das Wissen um diese Entwicklung fördert.“
Folgerichtig liest sich das Programm des 35C3. Eröffnet mit einem Plädoyer auf das Bedingungslose Grundeinkommen drehte sich das Gros der Vorträge um die Frage, wie die Gesellschaft auf die Entwicklung der Technik reagieren soll und wo und wie man Staat und Wirtschaft in der Verantwortung sieht.
So kritisierten die Referent*innen den Umgang mit Nutzerdaten durch Amazon und warnten vor Möglichkeiten der Manipulation durch Microtargeting. Dieser Begriff zur individuellen Ansprache von Nutzergruppen etwa auf Facebook ist eng mit dem Cambridge Analytica-Skandal verbunden. Beleuchtet wurden auch Neuregelungen der Polizeigesetze in den Bundesländern oder das von der chinesischen Regierung entwickelte Social Credit System. Dieses bewertet Personen und Organisationen etwa nach ihrem Sozial- und Strafverhalten. Wer ein gutes Rating hat, hat auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt bessere Chancen – Verkehrssünder*innen kriegen Punkte abgezogen.
Viel diskutiert wurde rund um Infrastruktur, Datenschutz und Überwachung. So fanden aktuelle netzpolitische Debatten ihren Platz, wie der geplante 5G-Ausbau, Upload-Filter im Zuge einer EU-Urheberrechtsreform oder die Gesichtserkennung an öffentlichen Plätzen.
Der Jahreskongress des CCC ist aber auch ein Treffen der Open Source-Community und lädt dazu ein, sich über Open Source-Plattformen zu informieren und mit anderen Anwender*innen und Programmierer*innen zu vernetzen. Viele Vorträge und Workshops beschäftigten sich mit den technischen Grundlagen, mit denen in den IT-Abteilungen deutscher Unternehmen täglich gearbeitet wird. Aus diesem Grund waren auch Daniel Friedlmaier, Peter Körner und Florian Kaiser auf dem 35C3, alle drei Support Engineers für Linux und Monitoring bei CANCOM.
Trotz der Verbundenheit des Kongresses zur Open Source-Idee betont Florian Kaiser: „Die Hacker*innengemeinde steht nicht konträr zu kommerzieller IT. Sie steht aber konträr zu schlechter Handarbeit. Es ist vollkommen fair, Geld mit Software zu machen – wenn sie vernünftig ist und die Daten der Anwender*innen nicht aufs Spiel setzt. Die Hacker*innen nehmen Hard- und Software auseinander und erklären, was schlecht ist und was man richtig machen kann. Und davon kann jede technische Entscheider*in etwas mitnehmen.“
Ein Vortrag hatte sich etwa mit der elektronischen Gesundheitsakte beschäftigt. Millionen Deutsche nutzen diese bereits in Form von Diensten verschiedener Anbieter. „Der Referent hat im Detail aufgezeigt, inwiefern die Authentifizierung bei allen Anbietern unzureichend umgesetzt ist,“ berichtet Daniel Friedlmaier. „Er hat gezeigt, was falsch läuft, mit dem klaren Appell gerade an Neulinge in der Programmierung: Macht das so bitte nicht. Die Vorträge wollen in erster Linie aufklären.“
Unternehmen rät er, auf die Stimmen der Hacker*innengemeinde zu hören und Kritik anzunehmen. Denn IT-Expert*innen von außen haben einen neutraleren Blick und eine unabhängige Meinung. „Horcht nicht nur auf eure eigenen Spezialist*innen. Keiner beißt gern die Hand, die ihn füttert.“
Der Chaos Communication Congress ist vor allem ein großes Volksfest, mit Kunstinstallationen, Bars, Musik und vielen Guerilla-Aktionen der Besucher*innen. Über 4.000 Teilnehmer*innen packten freiwillig als „Engel“ mit an, andere verteilten über 2.000 Postkarten als sogenannte „Chaospost“.
„Auch wenn die Veranstaltung nicht gewinnorientiert ist und die Helfer*innen ehrenamtlich sind, war die Organisation perfekt und reibungslos,“ so Florian Kaiser. „Jeder macht das, worauf er Lust hat. Die einzige Währung dort heißt Bock.“ „Man spürt allgegenwärtig den Respekt untereinander. Und das ist ja auch ein ganz wichtiger Punkt der Hacker*innenethik,“ sagt Daniel Friedlmaier.
Ende Dezember 2019 wird sich die Hacker*innengemeinde wieder treffen, zum 36C3. Eine Teilnahme am Kongress kann Daniel Friedlmaier jedem empfehlen, „der Interesse an technischen, ethischen oder gesellschaftspolitischen Fragen hat.“ „Und andere Meinungen ertragen kann“, ergänzt Florian Kaiser. „Es geht schließlich um Toleranz und Inklusion.“