Quantencomputer werden in Zukunft komplexe Optimierungsprobleme wie das des Handlungsreisenden schnell lösen und in vielen Branchen den Status Quo erheblich verändern. Allerdings werden noch Jahre vergehen, bis Quantencomputer tatsächlich kommerziell nutzbar sein werden. Bereits heute sind aber Brückentechnologien vorhanden, die das Potenzial der Quantencomputer erlebbar machen. Sei es im eigenen Data Center oder als Service in der Cloud. Mit dem sogenannten “Digital Annealing” hat Fujitsu eine solche Technologie im Portfolio.
12. Oktober 2020
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Bild: © Jacqueline Weber/stock.adobe.com
Unternehmen stehen branchenübergreifend bis heute vor einer großen Herausforderung, wenn sie ihre Abläufe optimieren möchten: das Problem des Handlungsreisenden zu lösen. Bei diesem kombinatorischen Optimierungsproblem muss der Handlungsreisende mehrere Orte innerhalb einer Route besuchen. Die Aufgabe besteht nun darin, diejenige Reihenfolge für den Besuch der Orte zu ermitteln, die die kürzestmögliche Gesamtroute ergibt. Mit Ausnahme des ersten Ortes – der auch gleichzeitig der letzte sein muss – darf der Handlungsreisende dabei jeden Ort nur einmal aufsuchen.
In der Praxis stellen sich Variationen dieses Problems beispielsweise bei der Disposition von LKWs und der Reihenfolge der von ihnen anzufahrenden Ziele. Solange die Disposition nur wenige Fahrzeuge und Ziele umfasst, können Firmen die kürzeste Route sehr gut “händisch” identifizieren. Dies wird allerdings immer schwieriger, je mehr Fahrzeuge und Ziele existieren – was vor allem daran liegt, dass immer mehr Möglichkeiten für die Ausgestaltung der Route bestehen. Um hier die kürzeste Route herauszufinden, ist häufig ein enormer, exponentiell steigender, Rechenaufwand nötig – den die traditionelle IT kaum noch stemmen kann.
Abhilfe werden in Zukunft Quantencomputer schaffen. Diese sind in der Lage, alle Optionen für die Gestaltung der Route gleichzeitig zu bewerten – sodass sie die kürzeste Route schnell feststellen können. Jedoch sind Quantencomputer bisher kaum verfügbar. Als Quantencomputing-inspirierte Technologie bietet Fujitsu mit dem Digital Annealing eine Art “Brückentechnologie” an, die gerade Optimierungsprobleme wie das des Handlungsreisenden mit deutlich höherer Geschwindigkeit lösen soll als klassische CPUs und GPUs.
Damit Digital Annealing funktioniert, hat Fujitsu dafür einen eigenen Prozessor entwickelt: die sogenannte Digital Annealing Unit (DAU). Dieser ermöglicht laut Hersteller einen Optimierungsalgorithmus – womit komplexe Optimierungsprobleme bis zu 10.000 mal schneller berechnet werden können als mit vollständigen Simulationen auf klassischen IT-Architekturen.
Digital Annealing eignet sich für verschiedene Betriebsmodelle: Cloud Service, Managed Service oder On Premise. Laut Fujitsu ist die Cloud-Variante für die meisten Unternehmen das prädestinierte Modell. So sei es nötig, die Quantencomputing-inspirierten Rechner auf die jeweiligen Aufgabenstellungen exakt anzupassen. Genau diese Expertise würde Fujitsu mitbringen.
Laut Fujitsu lässt sich das Digital Annealing etwa in den folgenden Szenarien einsetzen:
Die Redaktion von CANCOM.info präsentiert die vier Szenarien im Überblick.
Logistiker stehen beim Gütertransport regelmäßig vor der Herausforderung, die jeweilige Fahrtstrecke (bzw. Route) vom Start bis zum Ziel zu optimieren. Dabei steigt die Gesamtzahl der Optimierungsmöglichkeiten exponentiell, je mehr Start- und Endpunkte sowie Transportmittel gegeben sind. Noch komplexer wird es, wenn zusätzlich Themen wie das Transportvolumen pro Fahrzeug oder die Bewertung der Fahrtstrecken in die Optimierung miteinfließen sollen. Die Aufgabe der Verantwortlichen ist es nun, aus all diesen Faktoren die beste Zuteilungs-, Strecken- und Beladungsvariante zu ermitteln. Und zwar nicht nur einmal, sondern kontinuierlich und möglichst schnell.
Wie Fujitsu hervorhebt, leistet die Digital Annealing-Technologie hier wertvolle Unterstützung. Dies zeige sich am Beispiel der Japanischen Post. Diese konnte demnach die Anzahl der erforderlichen Transportfahrzeuge von 52 auf 48 pro Zustellungsbereich reduzieren. Zudem habe die Japanische Post mit der Technologie erreicht, dass die Kosten um sieben Prozent gesunken sowie das effektiv genutzte Transportvolumen um 12 Prozent gestiegen sind. Nicht zuletzt habe die Geschwindigkeit der Zustellungen um 30 Prozent zugenommen.
Als weiteres Beispiel nennt Fujitsu einen Automobilhersteller, der mithilfe des Digital Annealings seine Intralogistik in den USA optimieren konnte – und seitdem von 5 Prozent niedrigeren Transportkosten profitiere.
Produktionsplaner stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie Logistiker: Sie müssen die beste Reihenfolge (bzw. Route) ermitteln, mit denen Produktionsaufträge manuell sowie von Maschinen bearbeitet werden sollen. Selbst bei überschaubaren Aufgabenstellungen stehen Planer vor der Herausforderung, aus über mehr als Sexdezilliarden (10 hoch 100) Alternativen die bestmögliche zu wählen.
In der Praxis lösen Unternehmen solche Aufgaben bis heute über regelbasierte Planungssysteme – deren Qualität allerdings meist begrenzt ist. Die Folge: Häufig sind die Ergebnisse alles andere als optimal.
Abhilfe schafft laut Fujitsu die Digital Annealing-Technologie. Dank ihres Optimierungsalgorithmus könne die Technologie aus den über zehn Sexdezilliarden Alternativen eine, verglichen mit regelbasierten Planungssystemen, deutlich bessere Auswahl treffen.
Fujitsu zufolge war es damit beispielsweise möglich, die Bearbeitungszeit für eine Serie von 40 Produktionsaufträgen, die von sechs Dreh- und Fräsmaschinen bearbeitet wurden, um ca. 30 Prozent zu verkürzen – von 284 auf 200 Stunden. Berechnet habe die Technologie diese Optimierung in weniger als einer Minute.
Auch beim Design von Produkten kommt das Szenario vor, dass die beste Reihenfolge (bzw. Route) aus einer Vielzahl von Optionen identifiziert werden muss. Ein Beispiel ist das Design eines Kabelbaums in einem Kraftfahrzeug: Hier ist es nötig, die zahlreichen Kontaktpunkte im Fahrzeug mit den jeweiligen Kabeln so miteinander zu verbinden, dass insgesamt möglichst wenig Kabelstrecke verbaut wird. Dabei sind diverse Rahmenbedingungen einzuhalten. Signal- und Versorgungskabel dürfen etwa nicht unmittelbar nebeneinander liegen.
Wie Fujitsu betont, ermöglicht die Digital Annealing-Technologie in diesem Bereich schnelle Optimierungen mit sehr guten Ergebnissen.
Risiko-und Portfoliomanager in Finanzinstituten stehen vor der Aufgabe, Finanzpakete mit vorgegeben Risikoprofilen zu schnüren. Das Ziel dabei ist, ein möglichst breites und gestreutes Portfolio zu schaffen, das nur geringe Risiken birgt. Damit das gelingt, müssen die Institute die beste Kombination (bzw. Reihenfolge) vieler Einzelpositionen ermitteln, um sie geschickt bündeln zu können.
Bei dieser und weiteren Aufgaben unterstützt laut Fujitsu die Digital Annealing-Technologie. Unter anderem habe die Technologie der Forschungs- und Entwicklungseinheit der Commerzbank geholfen, einige tausend Forderungen aus Leasing-Verträgen bei Kraftfahrzeugen besser auszuwählen und zu bündeln. Auch das britische Kreditinstitut NatWest nutze das Digital Annealing, um komplexe und zeitaufwendige Entscheidungen über Finanzanlagen zu optimieren.