Die Digitalisierung der deutschen Industrie, kurz Industrie 4.0, geht voran – doch es besteht weiterhin Luft nach oben. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Bitkom-Studie hervor, die der Digitalverband, auch angesichts der aktuell stattfindenden Hannover Messe Industrie, erstellt hat. Die Initiative “Manufacturing-X” soll das Thema Industrie 4.0 nun wesentlich voranbringen.
20. April 2023
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Grundsätzlich bewerten viele Industrieunternehmen in Deutschland den Stand der Digitalisierung in der deutschen Industrie positiv. Laut Bitkom-Studie sieht jedes zweite Industrieunternehmen (48 Prozent) seine Branche im internationalen Vergleich bei digitalen Innovationen an der Spitze bzw. als Vorreiter. Für die Studie hat Bitkom insgesamt 603 Unternehmen in Deutschland befragt. Davon kommen 163 aus dem industriellen Sektor.
Laut Bitkom-Präsident Achim Berg hat vor allem die Automobilbranche gezeigt, dass Deutschland bei der Digitalisierung der Wirtschaft eine Führungsrolle einnehmen kann. Die Studie verdeutlicht aber auch: Dieses positive Bild teilt längst nicht jeder Industriebetrieb. Tatsächlich würde jedes fünfte Unternehmen die deutsche Industrie als Nachzügler bewerten – oder sogar als abgeschlagen.
Entsprechend bescheinigt Achim Berg dem Thema Industrie 4.0 in einer offiziellen Pressemitteilung des Verbands noch Potenzial nach oben, das ausgeschöpft werden müsse.
Ähnlich, aber deutlich kritischer, beschreibt das Beratungsunternehmen MHP und die LMU München die derzeitige Situation. In ihrer jüngst veröffentlichten Studie “Industrie 4.0 Barometer 2023” bescheinigen sie der deutschen Industrie in puncto Digitalisierung einen deutlichen Rückstand gegenüber China, Großbritannien und den USA.
Ein grundsätzliches Problem sei, dass deutsche Industrieunternehmen zu stark auf den Bereich Return of Investment (ROI) fokussiert seien. Dadurch würden Unternehmen aus Kostengründen häufig nur Insellösungen implementieren – anstatt ganzheitlicher Digitalisierungs- und Automatisierungslösungen. Das betont Prof. Dr. Christina Reich von der MHP, die das Projekt “Industrie 4.0 Barometer 2023” verantwortet, in einem Artikel des Fachportals “Industry of Things”.
Das sei ein großes Problem. Denn ohne ganzheitliche, unternehmensweite Ansätze könnten Firmen die Mehrwerte der Digitalisierung niemals voll ausschöpfen – und ihren Rückstand entsprechend aufholen. Johann Kranz von der LMU München spricht in diesem Kontext von einem “Digitalisierungssprung auf das nächste Level” – der notwendig sei. Dieser gelinge allerdings nur, wenn Industrieunternehmen ganzheitliche Lösungen implementieren würden. Falls die internen Kapazitäten oder Kompetenzen dafür nicht ausreichen, ist es laut Studienautoren ratsam, sich zeitlich befristet externe Unterstützung zu holen.
Einen wichtigen Baustein, um das Potenzial nach oben (Bitkom) auszuschöpfen beziehungsweise den Rückstand gegenüber China, Großbritannien und den USA aufzuholen (MHP und LMU München), soll künftig das Projekt “Manufacturing-X” bilden. Das Projekt ist eines der wichtigsten Themen der aktuell laufenden Hannover Messe Industrie.
“Manufacturing-X”, das von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik initiiert wurde (dazu zählen unter anderem die Verbände VDMA, ZVEI und Bitkom, Anm. d. Red.), sieht einen ganzheitlichen Ansatz vor – der sogar über einzelne Unternehmen hinausgeht. So ist geplant, eine gemeinsame Dateninfrastruktur auf einer zentralen Plattform aufzubauen – zunächst für die deutsche, langfristig auch für die europäischen Industrie. Über diesen “Datenraum Industrie 4.0” sollen sich Industrieunternehmen jeglicher Größe miteinander vernetzen, Daten austauschen sowie entlang der Lieferkette untereinander teilen können. Gunther Kegel, Präsident des ZVEI, spricht in einem Artikel der “Welt” von einer “Art Amazon für Industriedaten”.
Laut Initiatoren sind die Vorteile einer gemeinsamen Dateninfrastruktur immens. Wie Bitkom-Präsident Achim Berg hervorhebt, können Firmen somit beispielsweise auf Störungen in Lieferketten frühzeitig reagieren, die Produktion schneller anpassen, Lieferverzögerungen vermeiden sowie neue, datenbasierte Geschäftsmodelle entwickeln. Außerdem sei Manufacturing-X ein weiterer Schritt hin zu einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft und einer nachhaltigeren Produktion.
“Wichtig ist nun, dass die Regierung auch die entsprechenden finanziellen Mittel bereitstellt und Unternehmen die Möglichkeiten des zukünftigen Datenraums wirklich nutzen”, so Achim Berg. Genau das hat die Bundesregierung auch vor. So berichtet unter anderem das Handelsblatt, dass für “Manufacturing-X” eine finanzielle Fördersumme von insgesamt 150 Millionen Euro vorgesehen ist. Die nötige Zustimmung zur Förderung hat der Bundestag inzwischen erteilt. Wie der Tagesspiegel schreibt, sollen noch in diesem Jahr bis zu 50 Millionen Euro bewilligt werden.
An der hohen Bedeutung von “Manufacturing-X” lässt die Bundesregierung keine Zweifel. Demnach soll “Manufacturing-X” die globale Vorreiterrolle des deutschen Industrie- und Produktionsstandorts sichern – indem die deutsche Industrie wettbewerbsstark, nachhaltig und resilient gemacht wird.